Das OLG Jena hat eine sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft verworfen.
Gegen den Vizepräsidenten des Verwaltungsgerichts (VG) Gera wird es kein Strafverfahren wegen des Vorwurfs der Volksverhetzung geben. Das hat das Oberlandesgericht (OLG) in Jena entschieden und eine sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Gera verworfen (Beschl. v. 27.10.2025, Az. 3 Ws 308/25).
Mit der Beschwerde hatte sich die Ermittlungsbehörde gegen einen Nichteröffnungsbeschluss des Landgerichts (LG) Gera gerichtet. Schon das LG hatte keinen hinreichenden Tatverdacht in der Sache erkennen können.
Die Staatsanwaltschaft Gera hatte im April 2025 Anklage gegen den Richter Dr. Bengt Fuchs erhoben. Er soll bereits im August 2019 einen Beitrag in einer Facebook-Gruppe kommentiert und dabei die Volksgruppen der Sinti und Roma mit reisenden Diebesbanden gleichgesetzt haben, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft. Konkret soll Fuchs als alternative Bezeichnung für die Gruppe die Bezeichnung “Rotationseuropäer mit Eigentumszuordnungsschwäche” vorgeschlagen haben.
Die Klage wurde aufgrund “der Stellung des Angeschuldigten im öffentlichen Leben, insbesondere im Justizwesen” wegen der besonderen Bedeutung des Falls zum LG Gera erhoben, wie die Staatsanwaltschaft damals mitteilte. Grundsätzlich wäre die Anklage beim Amtsgericht zu erheben gewesen.
Doch in der Folge lehnte das LG Gera die Eröffnung der Hauptverhandlung ab (Beschl. v. 17.07.2025, Az. 3 KLs 122 Js 25023/24). Gegen diese Entscheidung legte die Staatsanwaltschaft Gera sofortige Beschwerde ein, die Generalstaatsanwaltschaft Gera trat diesem Rechtsmittel bei.
Beleidigung ja, aber keine Hassbotschaft
Nun hat der 3. Strafsenat des OLG in Jena unter dem Vorsitz des Richters Martin Giebel diese sofortige Beschwerde verworfen. Nach Aktenlage sei der Tatverdacht der Volksverhetzung in rechtlicher Hinsicht nicht gegeben. Denn weder das Merkmal eines “Aufstachelns zum Hass” im Sinne des § 130 Abs. 1 Nr. 1 Strafgesetzbuch (StGB) noch das eines “Angriffs auf die Menschenwürde” im Sinne des § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB lägen vor, so der Senat.
Zwar habe der Angeschuldigte – also Fuchs – zum Ausdruck gebracht, dass Angehörige der Sinti und Roma als nicht sesshafte Personen durch Europa reisten und Straftaten im Bereich der Vermögensdelikte begingen. Diese Formulierung könne durchaus als Beleidigung gem. § 185 StGB rechtlich verfolgt werden, wenn der erforderliche Strafantrag vorläge. Eine Volksverhetzung sei die Äußerung aber nicht.
Denn dafür müsste die Aussage für das Merkmal “Aufstachelung zum Hass” über eine bloße Äußerung von Ablehnung und Verachtung hinausgehen und zu einer feindseligen Haltung anreizen. Eine “pauschalisierende Kriminalitätsbelastung einzelner Bevölkerungsgruppen” reiche hingegen nicht, es sei denn, sie soll Hass erzeugen.
Bei der Äußerung von Fuchs handelt es sich aus Sicht des Senats zwar um eine “grob geschmacklose und diffamierende Entgleisung”, die zudem im Widerspruch zu dessen Mäßigungsgebot als Richter bei öffentlichen Äußerungen stehe. Sie sei auch ein “missglückter Versuch”, die Betroffenen in ironisch-satirischer Form pauschal lächerlich zu machen und möglichst viele “Likes” zu erzielen. Eine Hassbotschaft im Sinne der Norm liege aber nicht vor.
Auch kein Angriff auf die Menschenwürde
Auch die zweite, von der Staatsanwaltschaft angeklagte Variante der Volksverhetzung – die Verletzung der Menschenwürde (§ 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB) – sah der Senat nicht als gegeben an. Das an die Menschenwürde im Grundgesetz anknüpfende Merkmal schütze den unverzichtbaren Kernbereich der menschlichen Persönlichkeit und nicht bloß einzelne Persönlichkeitsrechte. Daher reichten bloße Beleidigungen, “einfache” Beschimpfungen oder jede ausgrenzende Diskriminierung für die Erfüllung des Tatbestandes nicht aus.
Erforderlich sei vielmehr, dass der angegriffenen Person ihr Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft abgesprochen und sie als “minderwertiges Wesen” behandelt werde, so das OLG unter Verweis auf den Bundesgerichtshof (vergl. BGH, Urt. v. 15.03.1994, Az. 1 StR 179/93).
Das OLG Jena zitiert dazu auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Nach dessen Rechtsprechung schütze die Menschenwürde den sozialen Wert- und Achtungsanspruch des Menschen, der es verbietet, einen Menschen zum bloßen Objekt des Staates zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektqualität prinzipiell infrage stellt (BVerfG, Beschl. v. 20.10.1992, Az. 1 BvR 698/89).
Das OLG vergleicht die Äußerung von Fuchs sodann mit dem Racial Profiling, also der polizeilichen Kontrolle von Personalien nur dunkelhäutiger oder fremdländisch aussehender oder sprechender Personen. Auch das sei zwar eine verbotene Diskriminierung, so der Senat, aber von einer “Entmenschlichung” könne noch keine Rede sein. Würde man pauschal und undifferenziert jede Form von Diskriminierung zugleich als Volksverhetzung interpretieren, so verlöre der Rechtsbegriff der Menschenwürde jegliche Kontur.
OLG setzt Fuchs’ Aussage in historischen Kontext
Dann bringt das OLG die Äußerung von Fuchs in den historischen Kontext. Das hält der Senat für notwendig, da diese nicht im “luftleeren Raum” getätigt worden sei, sondern gedankliche Bezüge zu Vorstellungen und Klischees aufweise, die eine lange Vorgeschichte hätten.
Sinti und Roma seien schon in der Weimarer Republik “unter dem Schlagwort präventiver Kriminalitätsbekämpfung als ständiges Objekt polizeilicher Kontrolle und Überwachung diskriminiert” worden, stellt der Senat fest. Er nennt das “Gesetz zur Bekämpfung von Zigeunern, Landfahrern und Arbeitsscheuen” aus dem Jahr 1926 sowie aus demselben Jahr die Vereinbarung der kriminalpolizeilichen Kommission aller deutschen Länder “Über die Bekämpfung der Zigeunerplage”. Den Menschen habe seinerzeit ständig ein Entzug der erforderlichen polizeilichen Erlaubnis für das Umherziehen mit Wagen oder Karren gedroht, Gesetzeszweck sei die “Säuberung des flachen Landes von sicherheitsgefährdenden Personen” gewesen. Von allen “nichtsesshaften Zigeunern und nach Zigeunerart herumziehenden Personen” seien Fingerabdrücke zu nehmen gewesen, die Menschen hätten “Zigeunerausweise” führen müssen.
Diese “damalige verdachtsunabhängige und permanente Überwachung und die damit verbundene Kriminalisierung” stellten aus heutiger Sicht zwar eine “diskriminierende Gängelung und Diffamierung dar”. Gleichwohl erscheine “es unangemessen, darin zugleich eine ‘Entmenschlichung’ oder einen Angriff auf die Menschenwürde zu sehen” – die Weimarer Republik sei kein Unrechtsstaat gewesen, so das OLG. Die Maßnahmen entsprächen eher “einem (verbotenen) diskriminierenden ‘Racial Profiling’ moderner Prägung”, das aber nicht als Angriff auf die Menschenwürde betrachtet werden könne. In der NS-Zeit sei das Vorgehen hingegen von einer Rassenideologie getragen gewesen, die einen Angriff auf die Menschenwürde dargestellt habe.
Vor diesem Hintergrund lasse die vorgeworfene Äußerung keinerlei Bezug zu nationalsozialistischem, menschenverachtendem Gedankengut erkennen, sondern greife abwertende, ehrverletzende Klischees auf.
Die anderslautenden Ansichten der Staatsanwaltschaft und der Generalstaatsanwaltschaft überzeugten den Senat damit nicht.
Es bleibt das Disziplinarverfahren
Damit kommt es nicht zu einem Strafverfahren gegen Fuchs, es bleibt das Disziplinarverfahren. Das hatte Michael Obhues, Präsident des VG Gera, bereits im Juli gegen den Richter eingeleitet. Dieses war ausgesetzt, solange die strafrechtlichen Vorwürfe im Raum standen, nun muss es wieder aufgenommen werden, § 79 Thüringer Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Richter und Staatsanwälte (ThürRiStAG) i. V. m. § 15 Abs. 3 Thüringer Disziplinargesetz (ThürDG). Auf Nachfrage zum weiteren Vorgehen verwies Obhues lediglich auf diese Normen.
Gegen Fuchs hatte es schon zuvor Vorwürfe gegeben. Dabei ging es um rassistische Kommentare im Internet. Der Richter bestritt die Vorwürfe. Außerdem war ihm vorgeworfen worden, in Asylverfahren deutlich seltener Anträge anerkannt zu haben als Richter an anderen Verwaltungsgerichten.
Er war dann zunächst innerhalb des VG Gera versetzt worden und damit nicht mehr für Asylverfahren zuständig. Dann wurde er ans Thüringer Ministerium für Justiz, Migration und Verbraucherschutz abgeordnet, dort soll er bis Ende 2026 verbleiben. VG-Präsident Obhues teilt mit: “Mir ist nichts Gegenteiliges bekannt”.
Quelle LTO 6.11.25
