von Thomas Ax
StA und Gericht haben neben der Einstellung mangels hinreichenden Tatverdachts (vgl. § 170 II StPO) auch noch die Möglichkeit, das Verfahren aus Opportunitätsgründen einzustellen, wenn die Schuld gering ist oder andere Gründe dagegen sprechen, eine Anklage zu erheben, selbst wenn dem Täter die Tat voraussichtlich nachgewiesen werden könnte. Diese Einstellungsmöglichkeiten sind in den §§ 153 ff. StPO geregelt.
Man unterscheidet die
Einstellung ohne belastende Maßnahmen (u.a. §§ 153, 154 ff. StPO, 45 I, 47 I 1 Nr. 1 JGG)
und die
Einstellung mit belastenden Maßnahmen (u.a. §§ 153a StPO, 45 III JGG).
Einstellung nach § 153 StPO: geringe Schuld und mangelndes öffentliches Interesse (Bagatellsachen)
Einstellung im Ermittlungsverfahren (durch die StA), § 153 I StPO
a) Vergehen: Bei der Tat muss es sich um ein Vergehen, § 12 II StGB, handeln.
b) Geringe Schuld: Dabei muss dem Täter die Schuld nicht nachgewiesen werden („als gering anzusehen wäre“). Ausreichend ist die bloße Wahrscheinlichkeit der Verurteilung auf der Basis des bisherigen Ermittlungsstandes. Ist hingegen eine Verurteilung unwahrscheinlich, muss nach § 170 II stopp eingestellt werden. Die Schuld wäre gering, wenn sie bei dem Vergleich mit Vergehen gleicher Art deutlich unter dem Durchschnitt läge. Kriterien: § 46 II 2 StGB.
c) Fehlendes öffentliches Verfolgungsinteresse: Dabei ist auf die Strafzwecke abzustellen, d.h. es ist zu fragen, ob aus spezial- oder aus generalpräventiven Gründen oder aber zum Schuldausgleich eine Fortsetzung des Verfahrens notwendig erscheint.
d) Zuständigkeit: Staatsanwaltschaft
e) Zustimmung des Gerichts (§ 153 I 1 StPO – Ausnahme: § 153 I 2 StPO). Zustimmung des Beschuldigten ist nicht erforderlich.
f) Liegt ein Privatklagedelikt i.S. des § 374 I StPO vor, muss gem. § 376 StPO bei Bejahung des öffentlichen Interesses Anklage erhoben, bei Verneinung desselben nach § 170 II StPO eingestellt und auf den Privatklageweg verwiesen werden. Eine Einstellung nach § 153 I StPO ist demnach bei diesen Delikten denklogisch ausgeschlossen.
g) Folgen: Eine Anfechtung der Einstellung ist nicht möglich. Die Entscheidung erwächst jedoch nicht in Rechtskraft, d.h. eine Verfahrensfortsetzung ist auch ohne neue Beweismittel und Tatsachen möglich.
Einstellung nach Klageerhebung (durch das Gericht), § 153 II StPO
a) Zeitpunkt: Nach Erhebung der öffentlichen Klage, § 170 I StPO.
b) Voraussetzung: Zustimmung der StA und des Angeschuldigten (Ausn.: § 153 II 2 StPO), Voraussetzungen des § 153 I StPO (§ 153 II 1 StPO).
c) Zuständigkeit: Nur das Gericht (mit Zustimmung der StA sowie des Angeschuldigten, soweit keine Ausnahmen nach § 153 II 2 StPO vorliegen).
d) Anfechtbarkeit: Die durch Beschluss erfolgende Entscheidung ist weder durch die StA noch seitens des Angeschuldigten anfechtbar (§ 153 II 4 StPO).
Beschwerde (§ 304 StPO) ist zulässig, wenn eine prozessuale Voraussetzung fehlte.
e) Folgen: Im Gegensatz zu § 153 I StPO wird dem Beschluss gem. § 153 II StPO eine beschränkte Rechtskraft zuerkannt, deren Umfang jedoch umstritten ist. Kriterien: Vorliegen neuer Tatsachen oder Beweismittel (h.M.) oder Verbrechen statt Vergehen (Erst-Recht-Schluss aus § 153a I 5 StPO).
Einstellung nach § 153a StPO: kein Entgegenstehen der Schwere der Schuld und bei Gegenleistung entfallendes öffentliches Interesse
Einstellung im Ermittlungsverfahren (durch die StA), § 153a I StPO
a) Vergehen: Bei der Tat muss es sich um ein Vergehen, § 12 II StGB, handeln.
b) Kein Entgegenstehen der Schwere der Schuld: Ausreichend, aber erforderlich ist dabei ein nach dem Verfahrensstand hinreichender Tatverdacht (höhere Anforderung als bei § 153 StPO). Erfasst ist neben der „geringen Schuld“ auch die mittlere Kriminalität.
c) Entfallendes öffentliches Verfolgungsinteresse: Die dem Beschuldigten auferlegten Auflagen und Weisungen müssen geeignet sein, das grundsätzlich bestehende öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen. Zu den einzelnen Auflagen und Weisungen vgl. die nicht abschließende Aufzählung in § 153a I 2 StPO.
d) Zuständigkeit: StA
e) Zustimmung des Gerichts (Ausnahme: § 153a I 7 StPO i.V.m. § 153 I 2 StPO) und des Beschuldigten
f) Folgen: Vorläufige, nicht anfechtbare Einstellung. Nach Erfüllung der Auflagen bzw. Weisungen endgültige Einstellung bei beschränktem Strafklageverbrauch. Wiederaufnahmemöglichkeit, wenn sich nachträglich herausstellt, dass die Tat kein Vergehen, sondern ein Verbrechen darstellt (§ 153a I 5 StPO).
Einstellung nach Klageerhebung (durch das Gericht), § 153a II StPO
Es müssen die gleichen Voraussetzungen wie für § 153a I StPO vorliegen. Durch das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens (17.8.2017) wurde die Anwendbarkeit des § 153a StPO zum Zweck der Verfahrensvereinfachung und Verfahrensbeschleunigung auch auf das Revisionsverfahren erstreckt. Das Revisionsgericht kann das Verfahren nunmehr ebenfalls gem. § 153a II StPO einstellen, ebenso das Tatgericht nach Zurückverweisung der Sache (§ 354 II StPO). Zustimmung von StA und Angeschuldigtem ist erforderlich. Der Beschluss ist unanfechtbar.
Einstellung gem. § 154 StPO bzw. Beschränkung der Strafverfolgung gem. § 154a StPO bei mehreren Delikten
Die §§ 154, 154a StPO sind eine Ausprägung der Verfahrensökonomie: Es besteht die Möglichkeit, vom Legalitätsprinzip abzuweichen, wenn der Täter mehrere Delikte verwirklicht hat.
1. § 154 StPO: Bei selbstständigen Taten im prozessualen Sinn (§ 264 StPO), wenn die einzustellende Tat neben einer anderen (Haupt-)Tat des Täters nicht mehr ins Gewicht fällt. Einstellung durch die StA, nach Klageerhebung durch das Gericht auf Antrag der StA.
2. § 154a StPO: Bei ein und derselben Tat im prozessualen Sinn (§ 264 StPO) eröffnet § 154a StPO die Möglichkeit zur Beschränkung der Verfolgung (eine Einstellung ist innerhalb einer prozessualen Tat begrifflich unmöglich) auf die „gewichtigen“ Gesetzesverletzungen. Beschränkung durch die StA, nach Klageerhebung durch das Gericht mit Zustimmung der StA.
3. Folgen: Vorläufige Einstellung/Beschränkung des Verfahrens, Wiederaufnahme bzw. -einbeziehung nach §§ 154 III, IV, 154a III StPO möglich. Die ausgeschiedenen Delikte können bei der Verurteilung nach h.M. strafschärfend berücksichtigt werden, wenn der Beschuldigte ausdrücklich unter Anwendung des § 265 StPO darauf hingewiesen wurde und das Tatgeschehen prozessordnungsgemäß festgestellt wurde (str.).
Weitere Einstellungsmöglichkeiten
§ 153b StPO (Fälle, in denen das Gericht von Strafe absehen könnte),
§ 153c StPO (Auslandstaten),
§ 153d StPO (Staatschutzdelikte wegen überwiegender öff. Interessen),
§ 153e StPO (Staatsschutzdelikte wegen tätiger Reue),
§ 153f StPO (Straftaten nach dem VStGB),
§ 154c StPO (bei Nötigungs- und Erpressungsopfern),
§ 154d StPO (bei zivil- oder verwaltungsrechtlichen Vorfragen),
§ 154f StPO (Vorübergehende Hindernisse);
§ 31 BtMG (Kronzeugen),
§ 31a BtMG (Drogenbesitz zum Eigenverbrauch),
§ 37 BtMG (bei Durchführung einer Drogentherapie).