vorgestellt von Thomas Ax
Die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung gelten nur für ungeklärte Tatsachen. Für unstreitig wahre Tatsachenbehauptungen und für Meinungsäußerungen sind sie nicht anwendbar. In der grundsätzlich als Meinungsäußerung einzuordnenden strafrechtlichen Beurteilung unstreitig wahrer Tatsachen sind die Medien nach Art. 5 Abs. 1 GG weitgehend frei.
Maßgeblich für die Deutung einer Äußerung ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis des von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat. Dabei ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Er wird vielmehr auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und den Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt, soweit diese für die Rezipienten erkennbar waren. Die Äußerung darf nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 21.12.2016 – 1 BvR 1018/15, NJW 2017, 1537, juris Rn. 21; BGH, Urteil vom 04.04.2017 – VI ZR 123/16, NJW 2017, 2029, juris Rn. 30, jeweils m.w.N.).
Rechtliche Beurteilungen bringen in der Regel nur die persönliche Rechtsauffassung des sich Äußernden zum Ausdruck, die als Meinung dem grundsätzlichen Schutz der Äußerungsfreiheit unterfällt. Auch die Einstufung eines Vorgangs als strafrechtlich relevanter Tatbestand ist prinzipiell keine Tatsachenbehauptung, sondern ein Werturteil (vgl. BGH, Urteil vom 22.06.1982 – VI ZR 251/80 – „Klinikdirektoren“, GRUR 1982, 631, 632 m.w.N.). Als Tatsachenmitteilung ist eine solche Äußerung erst dann zu qualifizieren, wenn und soweit das Urteil nicht als Rechtsauffassung kenntlich gemacht ist, sondern bei dem Adressaten zugleich die Vorstellung von konkreten in die Wertung eingekleideten Vorgängen hervorruft, die als solche einer Überprüfung mit Mitteln des Beweises zugänglich sind. Dafür, ob und inwieweit sich mit den in Frage stehenden strafrechtlichen Vorwürfen für den Rezipienten in dem Werturteil zugleich ein substantielles Tatsachensubstrat verkörpert, ist der Kontext entscheidend (vgl. BGH, Urteil vom 22.06.1982 – VI ZR 255/80; BGH, Urteil vom 17.11.1992 – VI ZR 344/91, NJW 1993,930).
Die Abgrenzung zwischen Werturteilen und Tatsachenbehauptungen kann im Einzelfall schwierig sein, weil die beiden Äußerungsformen nicht selten miteinander verbunden sind und erst gemeinsam den Sinn einer Äußerung ausmachen. In solchen Fällen ist der Begriff der Meinungsäußerung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes weit zu verstehen: Sofern die Äußerung, in der Tatsachen und Meinungen sich vermengen, durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist, wird sie als Meinung von dem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt. Das gilt insbesondere dann, wenn eine Trennung der wertenden und der tatsächlichen Gehalte den Sinn der Äußerung aufhöbe oder verfälschte. Würde in einem solchen Fall das tatsächliche Element als ausschlaggebend angesehen, so könnte der grundrechtliche Schutz der Meinungsfreiheit wesentlich verkürzt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 09.10.1991 – 1 BvR 1555/88, juris Rn. 46).
Wer in Beziehung auf einen anderen eine Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet ist, dem obliegt es gemäß der über § 823 Abs. 2 BGB in das Zivilrecht transformierten Beweisregel des § 186 StGB, die Wahrheit der Behauptung nachzuweisen. Von diesem Wahrheitsbeweis (siehe dazu BGH, Urteil vom 11.12.2012 – VI ZR 314/10 – IM „Christoph“, juris R. 13 ff. m.w.N.) ist die Beklagte im hiesigen Verfahren indes befreit, weil die von ihr behaupteten Tatsachen unstreitig wahr sind.
So beruht die Zulässigkeit einer Verdachtsberichterstattung – bei Einhaltung der betreffenden Voraussetzungen – auf dem Gedanken, dass die Presse ihre durch Art. 5 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich gewährleisteten Aufgaben bei der öffentlichen Meinungsbildung nicht durchweg erfüllen könnte, falls sie rufgefährdende Informationen nur verbreiten dürfte, wenn sie im Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung ernstlich keinen Anlass hätte, an deren Zuverlässigkeit zu zweifeln (vgl. BGH, Urteil vom 03.05.1977 – VI ZR 36/74, NJW 1977, 1288, 1289).
Die Verdachtsberichterstattung kann eine Berichterstattung in Fällen, in denen behauptete Tatsachen nicht erweislich wahr bzw. unstreitig sind, daher zu Gunsten der Presse bzw. des Äußernden unter bestimmten Voraussetzungen gleichwohl rechtfertigen. Eine Berichterstattung aber, die ohnehin schon deshalb rechtmäßig ist, weil die behaupteten Tatsachen unstreitig wahr sind, muss nicht trotzdem zusätzlich auch noch die Anforderungen an eine zulässige Verdachtsberichterstattung wahren.
OLG München, Endurteil v. 05.03.2024 – 18 U 2827/23 Pre
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 01.06.2023, Az. 26 O 11735/22, abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
3. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klagepartei kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des gegen sie vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Entscheidungsgründe
I.
1
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Unterlassung einer identifizierenden Wortberichterstattung in mehreren Online-Presseberichten.
2
1. Der Kläger ist Industriemanager und Finanzinvestor. Die Beklagte verantwortet die Internetseite www…de.
3
Zu Beginn der Corona-Pandemie war der Kläger an der Vermittlung von Lieferverträgen über Corona-Atemschutzmasken an verschiedene staatliche Auftraggeber beteiligt, wobei unter anderem an zwei Abgeordnete Vermittlungsprovisionen gezahlt wurden. Dabei handelte es sich insbesondere um Bestellungen des Bundesgesundheitsministeriums, des Bundesinnenministeriums sowie des B. Gesundheitsministeriums bei der Firma L. GmbH & Co. KG. Für diese Käufe von Schutzausrüstung flossen insgesamt ca. 63 Millionen € Steuergelder an L. L. wiederum überwies ca. 10 Millionen € Provision an eine Firma des Klägers namens P. Von P. flossen ca. 1,2 Millionen € an den Landtagsabgeordneten A. S. und 660.000 € an den Bundestagsabgeordneten G. N.
4
Anfang 2021 leitete die Generalstaatsanwaltschaft München gegen die beiden Abgeordneten sowie gegen den Kläger ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der strafbaren Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern (§ 108e StGB) ein. Mit Beschluss vom 03.02.2021 wurde die Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume des Klägers und die Beschlagnahme der dort sichergestellten Gegenstände angeordnet. Die Beschlüsse wurden am 25.02.2021 vollzogen. Am 24.03.2021 erließ das Oberlandesgericht München auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft gegen den Kläger einen Haftbefehl, der am 01.04.2021 unter Auflagen außer Vollzug gesetzt wurde. Mit Beschluss vom 01.04.2021 wurde der Arrest in das Vermögen des Klägers angeordnet. Am 07.04.2021 erfolgte die Entlassung des Klägers aus der Untersuchungshaft. Auf die Beschwerde des Klägers vom 25.06.2021 hin hob das Oberlandesgericht München mit Beschluss vom 18.11.2021 sowohl den Arrestbeschluss als auch den Haftbefehl auf. Die Beschwerde gegen die Durchsuchungsbeschlüsse wurde als unbegründet zurückgewiesen. Die Entscheidung (Anlage K 2) wurde im Wesentlichen darauf gestützt, dass die Handlungen nicht den Straftatbestand des § 108e Abs. 2 StGB erfüllten, da das Tatbestandsmerkmal „bei Wahrnehmung des Mandats“ nicht erfüllt sei. Die Beschwerde der Generalstaatsanwaltschaft gegen diese Entscheidung wies der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 05.07.2022 (Anlage K 3) zurück.
5
Die Beklagte veröffentlichte zu diesem Thema mehrere Artikel auf www…de. in welchen sie mittels Nennung seines vollen Namens identifizierend über den Kläger berichtete (Anlagen K 4 bis 12). In diesen befasste sie sich mit den Ermittlungsverfahren und schilderte u.a., dass der Kläger insoweit neben den zwei Abgeordneten Beschuldigter sei, unter Bestechungsverdacht stehe, als „Schlüsselfigur in der Affäre“ gelte und dass über seine Firmen Provisionszahlungen abgewickelt worden sein sollen. Ferner legte die Beklagte dar, dass der Kläger zwei Wochen in Untersuchungshaft gesessen habe, Vermögen arretiert worden sei und dass Gelder der Firma P. beschlagnahmt worden seien. Hinsichtlich des Wortlautes der Äußerungen und des weiteren Inhaltes der Artikel wird auf die Anlagen K 4 bis K 12 Bezug genommen.
6
Mit anwaltlichem Schreiben vom 28.02.2022 ließ der Kläger die Beklagte auffordern, diese Veröffentlichungen entweder zu depublizieren oder in Bezug auf ihn zu anonymisieren (Anlage K 13). Daraufhin erklärte sich die Beklagte bereit, zwei weitere – nicht streitgegenständliche – Artikel zu depublizieren (Anlagen K 14, 15 und 16).
7
Die Klagepartei begehrte erstinstanzlich zuletzt, die Beklagte bei Meidung der gesetzlich vorgesehenen Ordnungsmittel dazu zu verurteilen, es zu unterlassen, über den Kläger im Zusammenhang mit dem Verdacht einer strafbaren Abgeordnetenbestechung beim Verkauf von Corona-Atemschutzmasken identifizierend zu berichten bzw. berichten zu lassen, insbesondere wenn dies geschieht wie in den streitgegenständlichen Online-Artikeln.
8
Ergänzend wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen, § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO.
9
2. Das Landgericht hat der Klage mit Urteil vom 01.06.2023 in der Hauptsache teilweise – nämlich in Bezug auf sechs der neun streitgegenständlichen Berichte – stattgegeben.
10
Es seien jeweils die Grundsätze der sog. Verdachtsberichterstattung anzuwenden. Zwar handele es sich dann nicht um eine Verdachtsberichterstattung, wenn über im Kern unstreitige tatsächliche Umstände berichtet werde; werde auf Basis dieser unstreitig wahren Tatsachen sodann eine rechtliche Bewertung angestellt, handele es sich vielmehr um eine geradezu klassische Meinungsäußerung. Vorliegend sei aber zu berücksichtigen, dass jedenfalls im Zeitpunkt der Berichterstattung der Wahrheitsgehalt der über den Kläger behaupteten Handlungen gerade nicht geklärt gewesen und auch von der Beklagten in den streitgegenständlichen Berichten ausdrücklich als Verdacht geäußert worden sei. Die zu diesem Zeitpunkt noch streitigen Tatsachen hätten sich erst im Nachhinein als unstreitig herausgestellt. Zudem sei in den Artikeln auch nicht lediglich ein – im Nachhinein als wahr – anzusehender Sachverhalt dargestellt und auf der Grundlage dieses Sachverhalts eine rechtliche Einschätzung und damit Meinung hinsichtlich der Strafbarkeit dieser Handlung geäußert worden. Vielmehr habe die Beklagte in den Artikeln ausdrücklich den Verdacht des Begehens einer strafbaren Bestechung aufgestellt und habe ihre Angaben auf das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren gestützt.
11
Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu einer Verdachtsberichterstattung, bei der im Unterlassungsklageverfahren der Wahrheitsbeweis für eine Straftat durch rechtskräftiges Strafurteil gem. § 190 Satz 1 StGB als erbracht anzusehen war (Urteil vom 18.06.2019 – VI ZR 80/18, NJW 2020, 45) sei vorliegend nicht anwendbar. Denn anders als in dem vom Bundesgerichtshof zu entscheidenden Fall sei hier gerade nicht die für den Kläger streitende Unschuldsvermutung entfallen. So sei der Kläger nicht etwa im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung im Unterlassungsverfahren zwischenzeitlich in einem Strafverfahren rechtskräftig verurteilt worden, wodurch die Unschuldsvermutung entfallen wäre. Vielmehr sei hier inzwischen von der Strafgerichtsbarkeit rechtskräftig festgestellt worden, dass das Verhalten des Klägers nicht strafbar gewesen sei. Die Unschuldsvermutung gelte somit fort. Die Beklagte sei daher nach wie vor gehalten, die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung bzw. zumindest die Maßgaben einzuhalten, die nach dem Bundesgerichtshof für die rückblickende Beurteilung der rechtlichen Zulässigkeit einer strafverfahrensbegleitenden identifizierenden Wortberichterstattung auch dann gelten, wenn im Unterlassungsklageverfahren der Wahrheitsbeweis für eine Straftat durch rechtskräftiges Strafurteil als erbracht anzusehen ist (siehe zu diesen BGH, Urteil vom 18.06.2019 – VI ZR 80/18, NJW 2020, 45, 50, Rn. 42). Die Kammer sei insoweit zwar der Auffassung, dass in sämtlichen streitgegenständlichen Artikeln keine Vorverurteilung des Klägers erfolge. Ferner erachte sie den Sachverhalt als einen solchen von überragendem öffentlichen Interesse und zudem bestehe auch ein berechtigtes Interesse gerade an der namentlichen Nennung des Klägers. Allerdings habe es die Beklagte bei sechs der streitgegenständlichen Artikel versäumt, vor der Berichterstattung eine ausreichende Stellungnahme des Klägers zu den Vorwürfen einzuholen. Hinsichtlich der betreffenden Artikel stehe dem Kläger daher der geltend gemachte Anspruch auf Unterlassung einer identifizierenden Berichterstattung zu.
12
3. Hiergegen haben beide Parteien Berufung eingelegt.
13
Der Kläger rügt, er sei in der breiten Öffentlichkeit bis zu den inkriminierten Berichterstattungen unbekannt gewesen; er bekleide zudem weder ein öffentliches Amt noch habe er eine vergleichbare gesellschaftlich herausragende Position, die ein generelles Informationsinteresse an der Zuverlässigkeit seiner Person und damit seiner Identität begründen könnte. Der Kläger werde daher durch die Namensnennung in den Artikeln in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt; denn die Unschuldsvermutung gebiete es – jedenfalls vor einem erstinstanzlichen Schuldspruch – ein Überwiegen des Anonymitätsinteresses der Beschuldigten anzuerkennen. Zwar bestehe zugegebenermaßen ein erhebliches öffentliches Interesse an der gesellschaftlichen und rechtlichen Aufklärung der sogenannten „Masken-Affäre“; ein hinreichendes Berichterstattungsinteresse liege daher möglicherweise hinsichtlich der Identitäten des Landtags- und des Bundestagsabgeordneten vor. So hätten auch sämtliche Justizbehörden – von der Generalstaatsanwaltschaft München über das Landgericht München I, das Oberlandesgericht München, bis hin zum Bundesgerichtshof in ihrer Pressekommunikation zwar die mitbeschuldigten Politiker teils mit vollem Namen genannt; der Name des Klägers sei hingegen anonymisiert worden. Ein überwiegendes Informationsinteresse an der Identität des Klägers könne mithin nicht bejaht werden. Dies gelte umso mehr, als der Vorwurf einer Strafbarkeit gem. § 108e StGB letztlich nur auf einer rechtlichen Fehleinschätzung der Staatsanwaltschaft beruhe; diese habe verkannt, dass in der Gesetzesbegründung unmissverständlich klargestellt werde, dass vom Tatbestand dieser Strafnorm Verhaltensweisen nicht erfasst seien, „die der Mandatsträger […] im Rahmen einer Nebentätigkeit“ vollziehe.
14
Die Beklagte habe zudem die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung nicht eingehalten. Diese habe die Beklagte aber schon deshalb zu wahren, weil sie in den Artikeln aus Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums einen Verdacht mitgeteilt habe. Hieran ändere auch die Argumentation der Beklagten aus der ex-post-Betrachtung nichts, dass die mitgeteilten Verdachtsmomente mittlerweile unstreitige Tatsachen seien. Denn der Anwendungsbereich der Grundsätze der Verdachtsberichterstattung sei bereits deshalb eröffnet, weil die Beklagte auch über das zum damaligen Zeitpunkt laufende staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren berichtet habe. Die Äußerung, der Kläger habe sich wegen Bestechung von Mandatsträgern strafbar gemacht, sei zudem keine Meinungsäußerung der Beklagten. Vielmehr habe diese keine eigene Rechtsmeinung geäußert, sondern lediglich berichtet, welche Rechtsmeinung die Staatsanwaltschaft bzw. der Generalstaatsanwalt verträten. Die „Mitteilung der (Rechts-)Meinungen Dritter“ sei indes „eine nachweisbare Tatsachenbehauptung und keine Rechtsmeinung der Beklagten“.
15
Die bloße Existenz eines Ermittlungsverfahrens begründe nicht bereits einen ausreichenden Mindestbestand an Beweistatsachen. Dies zeige sich schon daran, dass sich vorliegend die vorläufige rechtliche Beurteilung der Strafbarkeit des vorgeworfenen Sachverhalts letztlich als falsch erwiesen habe und inzwischen feststehe, dass das Verhalten des Klägers nicht strafbar gewesen sei. Die Konfrontationspflicht gelte auch für unstreitige Beweistatsachen. Der Kläger sei beklagtenseits aber nicht mit der erforderlichen Sorgfalt mit dem gegen ihn erhobenen Tatvorwurf konfrontiert worden; dies betreffe sämtliche Artikel, nicht nur diejenigen, hinsichtlich derer das Landgericht dies im angegriffenen Urteil bejaht und damit korrespondierend einen Unterlassungsanspruch zugesprochen habe. Überdies sei die Darstellung in den Artikeln auch vorverurteilend. Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten sei der Tenor des landgerichtlichen Urteils hinreichend bestimmt.
16
Die Klagepartei hat keine der beklagtenseits in den Artikeln geschilderten Tatsachen bestritten. Vielmehr macht sie auch in der Berufung lediglich geltend, über den Kläger habe aus Rechtsgründen gleichwohl nicht identifizierend berichtet werden dürfen.
17
Der Kläger beantragt,
die Beklagte in Abänderung des Urteils des Landgerichts München I vom 1. Juni 2023 (26 O 11735/22) zu verurteilen, es bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, die Ordnungshaft zu vollstrecken an dem Geschäftsführer der Beklagten, zu unterlassen, im Zusammenhang mit dem Verdacht einer strafbaren Abgeordnetenbestechung beim Verkauf von Corona-Atemschutzmasken identifizierend über [den Kläger] zu berichten bzw. berichten zu lassen,
insbesondere wenn dies geschieht wie in den auf a…de veröffentlichten Artikeln „Wofür bekam C.-Politiker G. N. die hohe Provision?“ vom 2. März 2021, „Masken-Affäre Ermittlungen: C. fordert A. S. auf, sofort alle Parteiämter niederzulegen“ vom 17. März 2021, „Ex-…minister A. S. soll 1,2 Millionen Euro über Treuhandfirma bezogen haben“ vom 18. März 2021, „Was steckt hinter der geheimnisvollen Spende des A. S.?“ vom 19. März 2021, „Das Corona-Update vom 25. März 2021“, „Das Corona-Update vom 8. April 2021“, „Maskenaffäre – In der Maskenaffäre floss noch viel mehr Provision“ vom 19. April 2021, „Maskenaffäre – Was macht eigentlich G. N.“ vom 11. Mai 2021 und „Kommt es in der Maskenaffäre überhaupt zum Prozess“ vom 29. Oktober 2021.
18
Die Beklagte beantragt,
das landgerichtliche Urteil abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
19
Beide Parteien beantragen jeweils,
die Berufung der Gegenseite zurückzuweisen.
20
Die Beklagtenpartei hat ihre Berufung mit Schriftsatz vom 28.08.2023 (Bl. 13/29 d. OLG-Akte) begründet. Sie verfolgt ihr Ziel der vollständigen Klageabweisung weiter.
21
Sie macht geltend, der Urteilstenor sei zu weit gefasst. Durch die bloße Bezugnahme auf die Überschriften der Artikel sei das Verbot ohnehin zu unbestimmt. Durch das Wort „insbesondere“ werde es dann aber unzulässigerweise sogar noch weiter ausgeweitet.
22
Dem Kläger stehe aber ohnehin keinerlei Unterlassungsanspruch zu. So seien über diesen beklagtenseits weder unwahre Tatsachen noch unzulässige Werturteile veröffentlicht worden. Das Landgericht habe zwar im Ansatz richtig erkannt, dass die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung nur für Tatsachenaussagen gelten. Es habe sich dann aber doch „verheddert“ und die Anforderungen – was nicht statthaft sei – generell auf „Strafvorwürfe“ erstreckt. Um eine Verdachtsberichterstattung handele es sich indes nur dann, wenn in tatsächlicher Hinsicht ungeklärt bzw. streitig sei, ob der Beschuldigte die ihm vorgeworfenen Handlungen begangen habe. Hingegen unterfalle es der Meinungsfreiheit, wenn die Beklagte auf Grundlage unstreitiger Tatsachen lediglich eine strafrechtliche Beurteilung vornehme. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass die Beklagte hier im Berichtszeitpunkt noch unklare Punkte zu Gunsten des Klägers nicht bereits als feststehend behauptet, sondern lediglich in Verdachtsform berichtet habe. Diese Unklarheiten bestünden aber heute nicht mehr; vielmehr seien alle Tatsachenbehauptungen unstreitig und müssten somit als erweislich wahr angesehen werden. Zwar hätten die Vorgänge erst entdeckt werden müssen; sie seien aber gleichwohl stets und ohne Abstriche wahr gewesen. Bei unstreitig wahren Tatsachen scheide eine üble Nachrede gem. § 186 StGB ohnehin aus; es komme deshalb nicht darauf an, ob sich die betreffende Berichterstattung zusätzlich auch noch deshalb als rechtmäßig erweise, weil es sich zudem auch um eine zulässige Verdachtsberichterstattung als Fall der Wahrnehmung berechtigter Interessen i.S.d. § 193 StGB handele.
23
Soweit es die auf einer – unstreitigen – Tatsachengrundlage fußende rechtliche Bewertung betreffe, handele es sich um eine zulässige Meinungsäußerung. Denn der Beschluss des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 05.07.2022 (Anlage K3) ändere nichts daran, dass man hinsichtlich der Provisionszahlungen die Meinung vertreten könne, diese seien strafbar gewesen. Hiervon seien – weshalb die Beklagte zudem auch auf die Verlautbarungen dieser amtlichen Stellen habe vertrauen dürfen – etwa auch die Generalstaatsanwaltschaft München und der Ermittlungsrichter beim Oberlandesgericht München ausgegangen.
24
Überdies habe das Landgericht falsche Schlüsse aus der „Staranwalt“-Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 18.06.2019 – VI ZR 80/18, NJW 2020, 45) gezogen. Diese ändere nichts daran, dass die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung bei unstreitigem Verhalten nicht anwendbar seien. Die Ausführungen im angegriffenen Urteil zur Wiederholungsgefahr seien ebenfalls unzutreffend. Denn vorliegend spiele die Fiktion des § 190 Satz 1 StGB keine Rolle. Vielmehr seien hier sämtliche Tatsachenbehauptungen von Anfang an – und damit jedenfalls auch zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit der diesem Verfahren zugrunde liegenden Klage – unstreitig wahr gewesen. Somit habe die Beklagte die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung zu keinem Zeitpunkt einhalten müssen. Es fehle daher auch an einer die Wiederholungsgefahr indizierenden Erstbegehung. Überdies habe das Landgericht dann auch noch die – auf den hiesigen Fall ohnehin nicht anwendbaren – Anforderungen an eine zulässige Verdachtsberichterstattung überspannt. So sei eine Betroffenenanhörung selbst in Fällen der Verdachtsberichterstarrung nicht obligatorisch, soweit es nicht um unsichere Tatsachenbehauptungen gehe, sondern lediglich um unstreitige Tatsachen und um Meinungsäußerungen in Form einer rechtlichen Bewertung. Die Artikel seien auch ausgewogen. Die identifizierende Berichterstattung sei daher aufgrund des überragendes öffentlichen Interesses zulässig.
25
4. Der Senat hat über den Rechtsstreit am 05.03.2024 mündlich verhandelt; insoweit wird auf das Sitzungsprotokoll (Bl. 73/75 d. OLG-Akte) verwiesen.
26
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird ferner auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze (Bl. 13/29, 32/41, 44/54 und 58/66 d. OLG-Akte) nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
27
Die zulässige Berufung der Beklagten hat in vollem Umfang Erfolg. Sie führt zur Änderung des erstinstanzlichen Urteils und gleichzeitiger Klageabweisung. Die Berufung der Klagepartei war zurückzuweisen.
28
Dem Kläger steht kein Anspruch auf Unterlassung der streitgegenständlichen identifizierenden Wortberichterstattung gem. § 1004 Abs. 1 Satz 2 analog, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG zu. Diese verletzt ihn nicht in seinem Persönlichkeitsrecht. Der Kläger kann auch keinen Verstoß gegen die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung geltend machen, weil diese vorliegend nicht einschlägig sind.
29
1. Maßgeblich für die Deutung einer Äußerung ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis des von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat. Dabei ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Er wird vielmehr auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und den Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt, soweit diese für die Rezipienten erkennbar waren. Die Äußerung darf nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 21.12.2016 – 1 BvR 1018/15, NJW 2017, 1537, juris Rn. 21; BGH, Urteil vom 04.04.2017 – VI ZR 123/16, NJW 2017, 2029, juris Rn. 30, jeweils m.w.N.).
30
Rechtliche Beurteilungen bringen in der Regel nur die persönliche Rechtsauffassung des sich Äußernden zum Ausdruck, die als Meinung dem grundsätzlichen Schutz der Äußerungsfreiheit unterfällt. Auch die Einstufung eines Vorgangs als strafrechtlich relevanter Tatbestand ist prinzipiell keine Tatsachenbehauptung, sondern ein Werturteil (vgl. BGH, Urteil vom 22.06.1982 – VI ZR 251/80 – „Klinikdirektoren“, GRUR 1982, 631, 632 m.w.N.). Als Tatsachenmitteilung ist eine solche Äußerung erst dann zu qualifizieren, wenn und soweit das Urteil nicht als Rechtsauffassung kenntlich gemacht ist, sondern bei dem Adressaten zugleich die Vorstellung von konkreten in die Wertung eingekleideten Vorgängen hervorruft, die als solche einer Überprüfung mit Mitteln des Beweises zugänglich sind. Dafür, ob und inwieweit sich mit den in Frage stehenden strafrechtlichen Vorwürfen für den Rezipienten in dem Werturteil zugleich ein substantielles Tatsachensubstrat verkörpert, ist der Kontext entscheidend (vgl. BGH, Urteil vom 22.06.1982 – VI ZR 255/80; BGH, Urteil vom 17.11.1992 – VI ZR 344/91, NJW 1993,930).
31
Die Abgrenzung zwischen Werturteilen und Tatsachenbehauptungen kann im Einzelfall schwierig sein, weil die beiden Äußerungsformen nicht selten miteinander verbunden sind und erst gemeinsam den Sinn einer Äußerung ausmachen. In solchen Fällen ist der Begriff der Meinungsäußerung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes weit zu verstehen: Sofern die Äußerung, in der Tatsachen und Meinungen sich vermengen, durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist, wird sie als Meinung von dem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt. Das gilt insbesondere dann, wenn eine Trennung der wertenden und der tatsächlichen Gehalte den Sinn der Äußerung aufhöbe oder verfälschte. Würde in einem solchen Fall das tatsächliche Element als ausschlaggebend angesehen, so könnte der grundrechtliche Schutz der Meinungsfreiheit wesentlich verkürzt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 09.10.1991 – 1 BvR 1555/88, juris Rn. 46).
32
2. Der maßgebliche Rezipient entnimmt den streitgegenständlichen Artikeln in Bezug auf den Kläger im Gesamtkontext folgende Aussagen:
33
a) Der Kläger war an der Vermittlung von Lieferverträgen über Corona-Atemschutzmasken an verschiedene staatliche Auftraggeber beteiligt, wobei unter anderem an die Landtags- bzw. Bundestagsabgeordneten S. und N. Vermittlungsprovisionen gezahlt wurden. Dabei handelt es sich insbesondere um Bestellungen des Bundesgesundheitsministeriums, des Bundesinnenministeriums sowie des Bayerischen Gesundheitsministeriums bei der Firma L. GmbH & Co. KG (vgl. Artikel Anlagen K 4, 5, 6, 7, 9, 10, 11). Für diese Käufe von Schutzausrüstung flossen insgesamt ca. 63 Millionen € Steuergelder an L. L. wiederum überwies ca. 10 Millionen € Provision an eine Firma des Klägers namens P. Von P. flossen ca. 1,2 Millionen € an den Abgeordneten A. S. und 660.000 € an den Abgeordneten G.N. (vgl. Artikel Anlagen K 4, 5, 6, 7, 10, 11). Der Abgeordnete N. hätte ursprünglich sogar eine fast doppelt so hohe Provision erhalten sollen. Der zusätzliche Betrag konnte aber nicht mehr ausbezahlt werden, nachdem die Bank in Liechtenstein die weiteren Überweisungen vom Konto des Klägers gestoppt und stattdessen die Finanzaufsicht (FIU) des Landes informiert hatte (vgl. Artikel Anlagen K 7, 10, 11 und 12).
34
Anfang 2021 leitete die Generalstaatsanwaltschaft München gegen die beiden Abgeordneten sowie gegen den Kläger ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der strafbaren Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern (§ 108e StGB) ein (vgl. Artikel Anlagen K 4, 5, 6, 7, 10 und 11). Im Februar 2021 wurden die Wohn- und Geschäftsräume des Klägers durchsucht. Geld wurde arretiert. Ende März 2021 erließ das Oberlandesgericht München auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft gegen den Kläger einen Haftbefehl, der Anfang April 2021 außer Vollzug gesetzt wurde; der Kläger wurde daher nach einigen Tagen bzw. nach zwei Wochen unter Auflagen aus der Untersuchungshaft entlassen (vgl. Artikel Anlagen K 5, 8, 9, 10, 11 und 12).
35
b) Der Kläger – ein „schillernder Unternehmer“ bzw. „schillernder Geschäftsmann“ – steht „im Zentrum des Masken-Skandals“. Seine „Ehre steht auf dem Spiel“. Durch die Provisionszahlungen dürfte sich der Kläger aus Sicht der Beklagten – die sich die betreffende Bewertung der Generalstaatsanwaltschaft München jedenfalls zu Beginn der Berichterstattung noch konkludent zu eigen gemacht hatte (siehe dazu BGH, Urteil vom 11.12.2012 – VI ZR 314/10 – IM „Christoph“, juris Rn. 14 m.w.N.) – wegen Bestechung von Mandatsträgern gem. § 108e StGB strafbar gemacht haben (vgl. Artikel Anlage K 4, 5, 6, 9). In den Artikeln vom 19.04.2021 (Anlage K 10) und vom 29.10.2021 (Anlage K 12) stellt die Beklagte es dann hingegen nach dem Verständnis des Durchschnittslesers bereits als durchaus fraglich dar, ob die „Geschäfte in der Maskenaffäre strafbar“ waren oder ob es sich dabei um „legale Vermittlungstätigkeiten“ handelte.
36
3. Mit dem vorstehenden Aussagegehalt handelt es sich bei den unter 2.a) genannten Textpassagen aus der klägerseits beanstandeten identifizierenden Berichterstattung um Tatsachenbehauptungen; diese werden beklagtenseits in den Artikeln teilweise als feststehend, teilweise auch als bloßer Verdacht (was aber nichts am Charakter als wahre Tatsachenbehauptung ändert, vgl. BGH, Urteil vom 18.06.2019 – VI ZR 80/18, NJW 2020, 45, 47, Rn. 25 m.w.N.) dargestellt. Die unter 2.b) dargelegten, auf Grundlage dieser – klägerseits durchwegs nicht bestrittenen – Tatsachen seitens der Beklagten vorgenommenen Wertungen und rechtlichen Einschätzungen sind hingegen Meinungsäußerungen.
37
4. Die so verstandenen Äußerungen betreffend im Zusammenhang mit dem Verkauf von Corona-Atemschutzmasken an zwei Abgeordnete gezahlte Provisionen und das diesbezügliche Ermittlungsverfahren im Rahmen der identifizierenden Berichterstattung über den Kläger unter Nennung seines Namens in den streitgegenständlichen Artikeln (Anlagen K 4 bis 12) greift jeweils in den Schutzbereich seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG) ein. Denn eine identifizierende Berichterstattung über ein mögliches Fehlverhalten – insbesondere, aber nicht nur, über Straftaten – beeinträchtigt zwangsläufig das Recht des Betroffenen auf Schutz seiner Persönlichkeit und seines guten Rufs, weil sie sein mögliches Fehlverhalten öffentlich bekannt macht und seine Person in den Augen der Adressaten negativ qualifiziert (st. Rspr., vgl. nur BGH, a.a.O., Rn. 19; Urteil vom 17.12.2019 – VI ZR 504/18, GRUR 2020, 555, 556 f., Rn. 15, jeweils m.w.N.).
38
5. Die Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers ist aber nicht rechtswidrig. Die gebotene Abwägung des Rechts des Klägers auf Schutz seiner Persönlichkeit und seines guten Rufs aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK mit dem in Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK verankerten Recht der Beklagten auf Meinungs- und Medienfreiheit fällt im Streitfall hinsichtlich der Namensnennung zugunsten der Beklagten aus.
39
a) Wegen der Eigenart des Persönlichkeitsrechts als eines Rahmenrechts liegt seine Reichweite nicht absolut fest, sondern muss erst durch Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 18.06.2019 – VI ZR 80/18, BGHZ 222, 196 = NJW 2020, 45, 46 f., Rn. 20 m.w.N.).
40
aa) Bei ansehensbeeinträchtigenden Tatsachenbehauptungen wird die Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen ganz wesentlich vom Wahrheitsgehalt der Behauptungen bestimmt. Wahre Tatsachenbehauptungen müssen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie für den Betroffenen nachteilig sind, unwahre dagegen nicht (st. Rspr., vgl. z.B. BGH, Urteil vom 22.02.2022 – VI ZR 1175/20, NJW 2022, 1751, 1753, Rn. 25 m.w.N.). Auch wahre Tatsachenbehauptungen sind indes nicht unbeschränkt zulässig. Vielmehr können sie rechtswidrig in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen eingreifen, wenn sie einen Persönlichkeitsschaden anzurichten drohen, der außer Verhältnis zu dem Interesse an der Verbreitung der Wahrheit steht (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 17.10.2023 – VI ZR 192/22, juris Rn. 25 m.w.N.).
41
Meinungsäußerungen genießen grundsätzlich den Schutz der Meinungsfreiheit, ohne dass es dabei auf deren Begründetheit, Werthaltigkeit oder Richtigkeit ankäme. Sie verlieren diesen Schutz auch dann nicht, wenn sie scharf und überzogen geäußert werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.06.1982 – 1376/79; BVerfGE 61, 1, juris Rn. 13; BVerfG, Beschluss vom 09.10.1991 – 1 BvR 1555/88; BVerfGE 85, 1, juris Rn. 44). Es gehört zu den Garantien der Meinungsfreiheit, dass ein Kritiker prinzipiell auch seine (straf-)rechtliche Bewertung von Vorgängen als seine Rechtsauffassung zum Ausdruck bringen kann, selbst wenn diese objektiver Beurteilung nicht standhält (vgl. BGH, Urteil vom 19.01.2016 – VI ZR 302/15, juris Rn. 20 m.w.N.). Es ist also ohne Belang, ob die Rechtsauffassung der Beklagten haltbar ist, so lange die Kritik sich nicht als bloße Schmähkritik erweist. Anderes gilt auch nicht deshalb, weil das strafrechtliche Ermittlungsverfahren inzwischen eingestellt worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 22.06.1982 – VI ZR 251/80 – „Klinikdirektoren“, GRUR 1982, 631, 632).
42
bb) Nach diesen Maßgaben fällt hier maßgeblich ins Gewicht, dass sämtliche Tatsachenbehauptungen unstreitig wahr sind. Damit korrespondierend gründen auch die Meinungsäußerungen der Beklagten – selbst falls man ihre betreffenden Bewertungen nicht teilt – auf einer fundierten Tatsachengrundlage.
43
cc) Ferner ist lediglich die Sozialsphäre des Klägers betroffen, da die Vorgänge im Zusammenhang mit seinen Gesellschaften und seinen bzw. deren geschäftlichen Aktivitäten stehen. Zu berücksichtigen ist im Rahmen der Abwägung zu Gunsten der Beklagten, dass sich derjenige, der sich im Wirtschaftsleben betätigt, in weitem Umfang der Kritik aussetzen muss (vgl. BGH, Urteil vom 21.11.2006 – VI ZR 259/05, juris Rn. 14 m.w.N.; siehe auch Urteil vom 22.09.2009 – VI ZR 19/08, NJW 2009, 3580, 3582). Die in einer Situation eines internationalen Gesundheitsnotstands gezahlten Provisionen und betreffende von Kaufleuten erzielte Gewinnmargen im Rahmen von Geschäften, die aus Steuermitteln zur Ausstattung der Bevölkerung mit Schutzausrüstung erfolgen, betreffen zudem – wie das Landgericht zutreffend dargelegt hat – eine Debatte von durchaus immensem öffentlichem Interesse. Dies gilt unabhängig von der Frage der Strafbarkeit der Provisionszahlungen auch deswegen, weil insoweit jedenfalls auch Fragen des Anstands, der „Geschäftsehre“ und der Moral tangiert werden.
44
dd) Der gesamten Berichterstattung kommt überdies auch deshalb erheblicher Informationswert zu, weil die gewichtige Frage, ob die deutschen Regelungen zur Abgeordnetenbestechung den internationalen Verpflichtungen entsprechen und hinreichend wirksam sind, seit Jahren unter verschiedenen Gesichtspunkten von sehr hohem gesellschaftlichen Interesse sowie Gegenstand der öffentlichen Diskussion sind. So steht die Strafnorm inmitten des Spannungsverhältnisses zwischen der Gewährleistung der für eine indirekte Demokratie wesentlichen Freiheit der Mandatsausübung einerseits und der Notwendigkeit, unlautere Einflussnahmen auf parlamentarische Entscheidungsprozesse auszuschließen, andererseits. Der Umfang der anzustrebenden Strafbarkeit und die nähere Ausgestaltung der Strafnorm waren und sind rechtspolitisch umstritten (siehe Werner in: Weber, Rechtswörterbuch, 31. Ed., unter „Mandatsträgerbestechung“ m.w.N.). In diesem Zusammenhang sollte nicht unberücksichtigt bleiben, dass der erst 1994 eingeführte Straftatbestand der Abgeordnetenbestechung in seiner Fassung bis zur Einführung der gegenwärtigen Vorschrift des § 108e StGB zum 01.09.2014 nur den Stimmenkauf erfasste und daher Beispiel einer rein symbolischen, praktisch bedeutungslosen Strafrechtsnorm war, die vollkommen wirkungslos war (vgl. Fischer, 71. Aufl., § 108e StGB, Rn. 5 m.w.N.). Sie war einer der Gründe, weshalb Deutschland als eines von nur wenigen Ländern (neben etwa der Elfenbeinküste, Saudi-Arabien, Syrien, Sudan, Liechtenstein, Österreich und San Marino) das Strafrechtsübereinkommen des Europarats gegen Korruption von 1999 und die UN-Konvention zur Bekämpfung der Korruption, die schon 2003 von Deutschland unterzeichnet worden war, nicht umsetzen konnte (vgl. etwa Wolf: „Abgeordnetenkorruption und Strafrecht – Eine unendliche Geschichte?“, ZRP 2012, 251; SZ vom 10.01.2012: „Eine deutsche Peinlichkeit“). Die aktuelle Strafvorschrift läuft nach Auffassung von Rechtsprechung und Schrifttum ebenfalls weitgehend leer und wird in der Strafrechtswissenschaft etwa auch als „parlamentarische Selbstbedienung“ bezeichnet (Geilen: „parlamentarische Selbstbedienung im Strafrecht“, LdR 1115, zitiert nach Fischer, a.a.O.).
45
Vor diesem von den deutschen Medien viele Jahre weitgehend unbeachteten Hintergrund wäre nicht nur jede öffentliche Debatte über eine vom deutschen Bundestag bislang nicht gewünschte Reform geltenden Strafrechts legitim, die Deutschland die Erfüllung internationaler Standards der Korruptionsbekämpfung in diesem Bereich ermöglichen würde. Ebenfalls von der Meinungsfreiheit gedeckt ist selbstverständlich auch die Äußerung der nicht zuletzt auch von der Generalstaatsanwaltschaft München vertretenen, wenn auch letztlich von den Beschwerdegerichten (vgl. BGH Beschluss vom 05.07.2022 – StB 7 – 9/22, StB 7/22, StB 8/22, StB 9/22, NJW 2022, 2856) nicht geteilten Annahme, Vorgänge und Verhaltensweisen der Beteiligten an den in den streitgegenständlichen Presseberichten beschriebenen Maskengeschäften des Klägers und der genannten Mandatsträger seien nicht nur strafwürdig (hierzu BGH a.a.O., Rn. 70), sondern würden bereits durch geltendes deutsches Strafrecht – zumal in Form einer Strafvorschrift mit der amtlichen Überschrift „Abgeordnetenbestechung“ – erfasst.
46
Die Berichterstattung dient mithin nicht allein der Befriedigung der Neugier der Leserschaft, sondern sie leistet einen Beitrag zur Meinungsbildung in einer demokratischen Gesellschaft und die Beklagte nimmt insoweit ihre Funktion als „Wachhund der Öffentlichkeit“ wahr (vgl. BGH, Urteile vom 30.10.2012 – VI ZR 4/12, ZUM-RD 2013, 63, 65, Rn. 13, und vom 17.12.2019 – VI ZR 504/18, GRUR 2020, 555, 557, Rn. 15, jeweils m.w.N.). Sie kann geeignet sein, eine Diskussion in der Gesellschaft anzustoßen oder zu bereichern (vgl. BGH, Urteil vom 29.09.2020 – VI ZR 449/19, GRUR 2021, 106, 108, Rn. 26).
47
ee) Hinzu kommt, dass die Berichterstattung aktuell war; zwischen den Handlungen des Klägers bzw. ihrem Bekanntwerden und der Veröffentlichung der Artikel lag nur ein kurzer Zeitraum. Auch heute liegen die Provisionszahlungen bzw. das betreffende Ermittlungsverfahren erst ca. vier bzw. etwa drei Jahre zurück.
48
ff) Zudem ist bei der Abwägung hinsichtlich des nicht unerheblichen Verbreitungsgrads in den Blick zu nehmen, dass die Äußerungen nicht nur mündlich und nicht nur gegenüber einem begrenzten Personenkreis erfolgten, sondern im Internet veröffentlicht wurden und dort abrufbar sind. Hierdurch wird das Persönlichkeitsrecht des Klägers durchaus gewichtig belastet.
49
b) In der Gesamtschau stellt sich die streitgegenständliche, den Kläger identifizierende Wortberichterstattung als zulässig dar.
50
aa) Zwar ist sie für den Kläger in erheblichem Maße ansehensbeeinträchtigend. Sie besteht indes zum einen Teil aus unstreitig vollumfänglich wahren Tatsachenbehauptungen, zum anderen Teil aus auf einer fundierten Tatsachengrundlage gründenden Meinungsäußerungen der Beklagten, die sich nicht als bloße Schmähkritik darstellen. Die Berichterstattung droht auf Seiten des Klägers auch keinen Persönlichkeitsschaden anzurichten, der außer Verhältnis zu dem berechtigten Interesse an der Verbreitung der Wahrheit und ihrer Bewertung steht. Sie ist sachlich verfasst und ergeht sich nicht in Herabwürdigungen oder Schmähungen des Klägers oder in Anprangerungen seines Verhaltens. Die Beklagte kann sich hinsichtlich der identifizierenden Berichterstattung zwar nicht auf ein gesteigertes Vertrauen berufen, das sie den Kläger ebenfalls identifizierenden Verlautbarungen amtlicher Stellen entgegengebracht hätte (vgl. dazu BGH, Urteil vom 16.02.2016 – VI ZR 367/15, juris Rn. 28 m.w.N.). Vielmehr macht die Klagepartei zutreffend geltend, dass sämtliche Justizbehörden bis hin zum Bundesgerichtshof in Pressemitteilungen lediglich den vollen Namen der mitbeschuldigten Abgeordneten genannt, den Namen des Klägers hingegen anonymisiert hatten. Dies entfaltet indes kein Präjudiz und erst recht keine Bindungswirkung dahingehend, dass sich deshalb die identifizierende Berichterstattung der Beklagten als rechtswidrig darstellen würde. Der Kläger muss seine Identifizierung vielmehr nichtsdestoweniger hinnehmen, weil – insbesondere auch angesichts der Art seiner Handlungen und des betreffenden Hergangs – die damit verbundene Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts im angemessenen Verhältnis zur moralischen Schwere seines Verhaltens und zu dessen Bedeutung für die Öffentlichkeit steht.
51
bb) An der Zulässigkeit der Berichterstattung ändert sich im Ergebnis auch dann nichts, wenn man – wie der Kläger – davon ausgehen wollte, die Beklagte habe sich die Einschätzung der Generalstaatsanwaltschaft München und des Oberlandesgerichts München, dass er sich wegen Abgeordnetenbestechung strafbar gemacht hat, gar nicht (auch nicht konkludent) zu eigen gemacht (siehe dazu BGH, Urteil vom 11.12.2012 – VI ZR 314/10 – IM „Christoph“, juris Rn. 14 m.w.N.), sondern habe nur die Rechtsmeinung Dritter wiedergegeben. Der Klagepartei ist zuzugeben, dass es sich bei den betreffenden Äußerungen bei einem solchen Verständnis des Durchschnittslesers gegebenenfalls nicht um Meinungen, sondern um Tatsachenbehauptungen handeln würde. Da es sich insoweit – also beim Bericht, Generalstaatsanwalt und Oberlandesgericht hätten die klägerischen Provisionszahlungen als Abgeordnetenbestechung bewertet – aber um unstreitig wahre Tatsachen handelt, würde diese Einordnung angesichts der vorstehend dargelegten Umstände gleichwohl nicht dazu führen, dass diesbezüglich das Anonymitätsinteresse des Klägers das öffentliche Informationsinteresse überwöge.
52
cc) Bei dieser Sachlage verhilft der Berufung des Klägers auch die Argumentation nicht zum Erfolg, die Beklagte habe über die in den Artikeln behandelten Vorgänge doch auch ausreichend berichten können, ohne den Namen des Klägers zu nennen. Die Klagepartei rügt insoweit, eine etwaige gesellschaftliche/moralische Debatte (zu der die Beklagte sich in den angegriffenen Artikeln aber ohnehin an keiner Stelle mittels eigener Meinungsäußerungen positioniert habe) sei auch dann nicht abgeschnitten, wenn man nicht identifizierend berichte.
53
Hierzu ist anzumerken, dass es zwar nur dann zulässig ist, identifizierend über einen Betroffenen zu berichten, wenn dies nicht dessen Persönlichkeitsrecht verletzt. In Fällen, in denen – wie hier – das öffentliche Informationsinteresse die Nennung des vollen Namens des Klägers rechtfertigt, kann ein Anspruch auf Anonymisierung aber nicht darauf gestützt werden, dass die Beklagte die behandelte Thematik grundsätzlich auch dann noch umfassend hätte beleuchten können, wenn sie den Namen des Klägers nicht genannt hätte. Denn eine identifizierende Textberichterstattung ist nicht nur in Fällen zulässig, in denen die Berichterstattung ohne Nennung des Namens des Betroffenen nicht hinreichend verständlich wäre. Es gehört vielmehr zum Kern der Freiheit der Medien, dass diese innerhalb der gesetzlichen Grenzen einen ausreichenden Spielraum besitzen, in dem sie nach ihren publizistischen Kriterien entscheiden können, was öffentliches Interesse beansprucht (vgl. BGH Urteil vom 06.06.2023 – VI ZR 309/22, NJW 2024, 505, 506, Rn. 20 m.w.N., für den Fall der Bildberichterstattung). Die Presse darf zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht grundsätzlich auf eine anonymisierte Berichterstattung verwiesen werden. Verfehlungen – auch konkreter Personen – aufzuzeigen, gehört zu den legitimen Aufgaben der Medien (BGH, Urteil vom 31.05.2022 – VI ZR 95/21 – Millionenbetrüger, juris Rn. 19). Deshalb kann die Presse hier – wo die Abwägung der gegenläufigen Interessen ergibt, dass die Namensnennung das Persönlichkeitsrecht des Klägers nicht verletzt – auch „Ross und Reiter benennen“ und dem Kläger steht kein Anspruch zu, demzufolge sie sich darauf beschränken müsste, lediglich anonymisiert zu berichten.
54
6. Darauf, ob die Beklagte die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung eingehalten hat, kommt es – anders, als die Klagepartei meint – nicht an.
55
a) Wer – wie vorliegend die Beklagte – in Beziehung auf einen anderen eine Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet ist, dem obliegt es gemäß der über § 823 Abs. 2 BGB in das Zivilrecht transformierten Beweisregel des § 186 StGB, die Wahrheit der Behauptung nachzuweisen. Von diesem Wahrheitsbeweis (siehe dazu BGH, Urteil vom 11.12.2012 – VI ZR 314/10 – IM „Christoph“, juris R. 13 ff. m.w.N.) ist die Beklagte im hiesigen Verfahren indes befreit, weil die von ihr behaupteten Tatsachen unstreitig wahr sind. Die Beklagte muss sich bei dieser Sachlage also nicht darauf zurückziehen, die von ihr behaupteten Tatsachen seien zwar nicht erweislich wahr, sie dürfe diese aber gleichwohl nach den als Unterfall der Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB) entwickelten Grundsätzen der Verdachtsberichterstattung äußern (zu dieser „Zweigleisigkeit“ von einer Zulässigkeit wegen Wahrheitsbeweises oder wegen Einhaltung der Grundsätze der Verdachtsberichterstattung vgl. z.B. BGH, a.a.O., Rn. 13 ff. und 22 ff.; siehe dazu auch Hager: „Die Verdachtsberichterstattung“, AfP 2022, 469, 470, Rn. 4). So beruht die Zulässigkeit einer Verdachtsberichterstattung – bei Einhaltung der betreffenden Voraussetzungen – auf dem Gedanken, dass die Presse ihre durch Art. 5 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich gewährleisteten Aufgaben bei der öffentlichen Meinungsbildung nicht durchweg erfüllen könnte, falls sie rufgefährdende Informationen nur verbreiten dürfte, wenn sie im Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung ernstlich keinen Anlass hätte, an deren Zuverlässigkeit zu zweifeln (vgl. BGH, Urteil vom 03.05.1977 – VI ZR 36/74, NJW 1977, 1288, 1289). Die Verdachtsberichterstattung kann eine Berichterstattung in Fällen, in denen behauptete Tatsachen nicht erweislich wahr bzw. unstreitig sind, daher zu Gunsten der Presse bzw. des Äußernden unter bestimmten Voraussetzungen gleichwohl rechtfertigen. Eine Berichterstattung aber, die ohnehin schon deshalb rechtmäßig ist, weil die behaupteten Tatsachen unstreitig wahr sind, muss nicht trotzdem zusätzlich auch noch die Anforderungen an eine zulässige Verdachtsberichterstattung wahren.
56
b) Die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung mussten vorliegend auch nicht etwa deshalb eingehalten werden, weil die Beklagte in den Artikeln die behandelten Tatsachen teilweise in Verdachtsform geschildert hat.
57
aa) Wer Tatsachen nach dem Verständnis des Durchschnittslesers als feststehend berichtet, kann sich nicht darauf berufen, die Tatsachenbehauptungen nach den Grundsätzen der Verdachtsberichterstattung tätigen zu dürfen; denn er hat sich eben gerade nicht darauf beschränkt, einen bloßen Verdacht zu schildern. Andersherum gilt dies hingegen nicht: Derjenige, der entweder sogar den ihm gemäß § 186 StGB obliegenden Wahrheitsbeweis geführt hat oder diesen (wie hier die Beklagte) nicht zu führen braucht, da der Kläger die in den Artikeln geschilderten Tatsachen nicht bestreitet, kann im Regelfall (und wie oben dargelegt auch hier) über diese unstreitig wahren Tatsachen auch berichten. Die Beklagte hätte die unstreitig wahren Tatsachen sogar durchweg als feststehend schildern dürfen; sie muss sich also nicht auf die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung berufen, um – unter Einhaltung gewisser Voraussetzungen – gleichwohl über nicht erweislich wahre bzw. unstreitige Tatsachen berichten zu dürfen. Indem sie sich „überobligatorisch“ sogar darauf beschränkt hat, teilweise nur über einen bloßen Verdacht zu berichten, stellt sich die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Klägers vielmehr sogar als milder dar, als wenn die Beklagte – was ebenfalls zulässig gewesen wäre – berichtet hätte, die Tatsachen stünden bereits fest.
58
bb) Anders als die klägerische Berufung meint, ist es insoweit auch unerheblich, ab wann die Tatsachen unstreitig waren bzw. wann die Beklagte erfahren hat, dass die Tatsachen unstreitig sind (vgl. BGH, Urteil vom 18.06.2019 – VI ZR 80/18, NJW 2020, 45, 49 f., Rn. 39 m.w.N.; siehe dazu auch Hager, AfP 2022, 469, 471 f., Rn. 13 f.). Erstens macht die Beklagte zutreffend geltend, dass der Kläger die Tatsachen nie bestritten hat und sie auch in diesem Verfahren niemals streitig waren. Außerdem wären die Tatsachen in diesem Verfahren selbst dann als von Anfang an wahr zu behandeln, wenn sie klägerseits erstmals in der Berufungsinstanz in der letzten mündlichen Verhandlung unstreitig gestellt worden wären. Die Berufung des Klägers verkennt, dass der Unterlassungsanspruch in die Zukunft gerichtet ist. Selbst wer in der Vergangenheit in seinen Rechten verletzt wurde, hat deshalb keinen Anspruch darauf, dass ein Verhalten unterlassen wird, das sich inzwischen als nicht mehr rechtswidrig darstellt (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 23 und 26 m.w.N.).
59
7. Die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung sind hier überdies auch deshalb gar nicht einschlägig, da diese nur für ungeklärte Tatsachen – also nicht für unstreitig wahre Tatsachenbehauptungen und nicht für Meinungsäußerungen – gelten:
60
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts darf eine Tatsachenbehauptung, deren Wahrheitsgehalt ungeklärt ist und die eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Angelegenheit betrifft, demjenigen, der sie aufstellt oder verbreitet, solange nicht untersagt werden, wie er sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für erforderlich halten darf (Art. 5 GG, § 193 StGB). Eine Berufung hierauf setzt voraus, dass vor Aufstellung oder Verbreitung der Behauptung hinreichend sorgfältige Recherchen über den Wahrheitsgehalt angestellt werden. Die Pflichten zur sorgfältigen Recherche über den Wahrheitsgehalt richten sich dabei nach den Aufklärungsmöglichkeiten. Sie sind für die Medien grundsätzlich strenger als für Privatleute. An die Wahrheitspflicht dürfen im Interesse der Meinungsfreiheit keine Anforderungen gestellt werden, die die Bereitschaft zum Gebrauch des Grundrechts herabsetzen.
61
Andererseits sind die Anforderungen umso höher, je schwerwiegender die Äußerung das Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt. Allerdings ist auch das Interesse der Öffentlichkeit an derartigen Äußerungen zu berücksichtigen (vgl. BGH, Urteil vom 20.06.2023 – VI ZR 262/21, NJW 2023, 3233, 3236, Rn. 23 m.w.N.; BGH, Urteil vom 12.04.2016 – VI ZR 505/14, MDR 2016, 648, Rn. 38; Soehring/Hoene: Presserecht, 6. Aufl., § 16, Rn. 53 m.w.N.; Korte: Praxis des Presserechts, 2. Aufl., § 2, Rn. 250). Die Voraussetzungen einer Verdachtsberichterstattung sind dabei nicht nur zu beachten, wenn über laufende polizeiliche oder staatsanwaltschaftliche Ermittlungen berichtet wird, sondern auch, soweit es selbst recherchierte Missstände anbelangt (siehe dazu Härting: Internetrecht, B. Persönlichkeitsrechte, 7. Aufl., Rn. 297; Soehring/Hoene: Presserecht, 6. Aufl., § 16, Rn. 48).
62
Die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung gelten zudem für die Berichterstattung über Ermittlungsverfahren unter namentlicher Nennung des Beschuldigten. In diesem Verfahrensstadium steht lediglich fest, dass ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, in der Regel ist aber nicht geklärt, ob der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Straftat begangen hat. Zwar gehört es zu den legitimen Aufgaben der Medien, Verfehlungen – auch konkreter Personen – aufzuzeigen. Dies gilt auch für die Berichterstattung über eine Straftat, da diese zum Zeitgeschehen gehört und die Verletzung der Rechtsordnung und die Beeinträchtigung von Rechtsgütern der betroffenen Bürger oder der Gemeinschaft ein anzuerkennendes Interesse der Öffentlichkeit an näherer Information über Tat und Täter begründen kann. Besteht allerdings – wie im Ermittlungsverfahren – erst der Verdacht einer Straftat, so sind die Medien bei besonderer Schwere des Vorwurfs angesichts des damit verbundenen schwerwiegenden Eingriffs in die persönliche Ehre in besonderem Maße zu sorgfältigem Vorgehen verpflichtet. Dabei ist im Hinblick auf die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende und in Art. 6 Abs. 2 EMRK anerkannte Unschuldsvermutung die Gefahr in den Blick zu nehmen, dass die Öffentlichkeit die bloße Einleitung eines Ermittlungsverfahrens mit dem Nachweis der Schuld gleichsetzt und deshalb im Fall einer späteren Einstellung des Ermittlungsverfahrens oder eines Freispruchs vom Schuldvorwurf „etwas hängenbleibt“ (vgl. BGH, Urteil vom 20.06.2023 – VI ZR 262/21, NJW 2023, 3233, 3236, Rn. 24 m.w.N.; BGH, Urteil vom 16.02.2016 – VI ZR 367/15, MDR 2016, 520, Rn. 23 m.w.N; BGH, Urteil vom 18.12.2018 – VI ZR 439/17, NJW 2019, 1881, Rn. 15).
63
Als Verdachtsäußerung kommen also nur Äußerungen mit Tatsachencharakter in Betracht. Nur bei solchen kann im Zeitpunkt der Äußerung der Wahrheitsgehalt ungeklärt sein (Burkhardt in: Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 6. Aufl., Kap. 10, Rn. 155a m.w.N.; siehe auch OLG Köln, Beschlüsse vom 07.03.2017 – 15 U 7/17, BeckRS 2017, 107140, Rn. 6, und vom 15.10.2020 – 15 W 52/20, GRUR-RS 2020, 39121, Rn. 7, jeweils m.w.N.). Liegt eine reine Meinungsäußerung vor und werden gleichwohl die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung angewendet, verletzt dies die Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16.03.2017 – 1 BvR 3085/15, NJW-RR 2017, 1003, 1004, Rn. 14 f. m.w.N.). Wie oben dargelegt, geht es hier aber nicht um ungeklärte Tatsachen, sondern um unstreitige Tatsachen und um Meinungen.
64
8. Auch die klägerseits herangezogene „Staranwalt“-Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 18.06.2019 – VI ZR 80/18, NJW 2020, 45) ändert hieran nichts. Der dort maßgebliche Sachverhalt unterscheidet sich in relevanten Punkten von dem hier streitgegenständlichen. Im dortigen Verfahren wurde seitens der Presse identifizierend über von der Staatsanwaltschaft gegen einen Steuerberater wegen des Verdachts der Vergewaltigung/sexuellen Nötigung geführte Ermittlungen berichtet. Der Steuerberater klagte u.a. auf Unterlassung. Im weiteren Verlauf wurde er im Strafverfahren rechtskräftig wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt. Im Zivilverfahren verneinte der Bundesgerichtshof die Wiederholungsgefahr, weil die Äußerungen nunmehr rechtlich zulässig seien (a.a.O., Rn. 18). Da der Wahrheitsgehalt der beanstandeten Tatsachenbehauptungen nicht als ungeklärt anzusehen sei, beurteile sich die rechtliche Zulässigkeit der dort angegriffenen Äußerungen auch für die Zeit vor Rechtskraft des Strafurteils rückblickend nicht nach den Grundsätzen der Verdachtsberichterstattung (a.a.O., Rn. 39). Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs soll bei der Beurteilung der rechtlichen Zulässigkeit einer Berichterstattung über ein noch laufendes Strafverfahren im Rahmen der Abwägung im Wege der mittelbaren Drittwirkung aber gleichwohl auch die für den Beschuldigten streitende, aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende und in Art. 6 Abs. 2 EMRK anerkannte Unschuldsvermutung zu berücksichtigen sein (a.a.O., Rn. 41). Daher müssten nach Auffassung des Bundesgerichtshofs dann – abgesehen vom Erfordernis eines Mindestbestands an Beweistatsachen – für die rückblickende Beurteilung der rechtlichen Zulässigkeit der strafverfahrensbegleitenden, identifizierenden Wortberichterstattung im Ergebnis im Wesentlichen doch die in Fällen der Verdachtsberichterstattung erforderlichen Voraussetzungen – insbesondere auch dasjenige der Einholung einer Stellungnahme des Betroffenen – erfüllt sein (a.a.O.; kritisch hierzu – insbesondere auch zum Erfordernis, eine Stellungnahme in Fällen einzuholen, in denen sich eine Meldung als wahr herausstellt – Hager, AfP 2022, 469, 470 f., Rn. 10 und 13).
65
Diese Grundsätze hat der Bundesgerichtshof für Fälle, in denen mit der rechtskräftigen Verurteilung eines Straftäters gem. § 190 Satz 1 StGB zugunsten der Beklagten der Beweis erbracht ist, dass die verbreiteten Tatsachenbehauptungen wahr sind (BGH, a.a.O., Rn. 25 m.w.N.), aus der Unschuldsvermutung hergeleitet. Die Unschuldsvermutung gelte zwar im Entscheidungszeitpunkt nicht mehr, habe aber seitens der dortigen Beklagten im Zeitpunkt der Berichterstattung noch beachtet werden müssen. Im dortigen Fall war die Tatsache, ob der Steuerberater die studentische Mitarbeiterin vergewaltigt und verletzt hatte, bis zuletzt streitig; schließlich war diese Tatsache aber gem. § 190 Satz 1 StGB als bewiesen anzusehen. In dieser Konstellation – in der es nicht lediglich um die als Meinung einzustufende rechtliche Bewertung der Strafbarkeit einer unstreitigen Tathandlung ging, sondern zu Gunsten des Klägers zunächst noch zu vermuten war, dass er die ihm zur Last gelegte Tathandlung tatsächlich gar nicht begangen hatte – galt für den dortigen Kläger also noch die Unschuldsvermutung.
66
Im hiesigen Verfahren galt für den Kläger hingegen nicht die Unschuldsvermutung. Diese bezieht sich nämlich nur auf unaufgeklärte Tatsachen-Fragen (vgl. KK-StPO/Tiemann, 9. Aufl., § 261 StPO, Rn. 63; KK-StPO/Fischer, 9. Aufl., Einleitung, Rn. 135 f.; MüKoStPO/Bartel, 2. Aufl., § 261 StPO, Rn. 360, jeweils m.w.N.). Damit korrespondierend ist auch § 190 StGB nur bei behaupteten oder verbreiteten Tatsachen einschlägig (vgl. Ricker/Weberling, Handbuch des Presserechts, 7. Aufl., Kap. 53, Rn. 27). Die Tatsachen sind hier aber von Anfang an unstreitig gewesen. § 190 Satz 2 StPO ist auch nicht exklusiv in dem Sinn, dass bei Straftaten der Wahrheitsbeweis nur durch eine entsprechende Verurteilung geführt werden könnte (vgl. Eisele/Schittenhelm in: Schönke/Schröder, 30. Aufl., § 190 StGB, Rn. 1). Die Rechtsmeinung der Klagepartei, der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 05.07.2022 – StB 7-9/22 (Anlage K 3) sei zwar kein „Freispruch“, führe gem. § 190 Satz 2 StGB aber gleichwohl dazu, dass die Äußerung, der Kläger habe sich wegen Abgeordnetenbestechung strafbar gemacht, als von Anfang an rechtswidrig gewertet werden müsste, geht mithin fehl. Bei Rechtsfragen ist der Grundsatz „in dubio pro reo“ (im Zweifel für den Angeklagten) nicht anwendbar (vgl. KK-StPO/Tiemann, a.a.O., Rn. 72; MüKoStPO/Bartel, a.a.O.; MüKoStPO/Kudlich, 2. Aufl., Einleitung, Rn. 202, jeweils m.w.N; BGH, Beschluss vom 16.12.1959 – 4 StR 484/59, NJW 1960, 540, 541). Im hiesigen Verfahren sind somit jedenfalls deshalb die Grundsätze aus der „Staranwalt“-Entscheidung des Bundesgerichtshofs nicht einschlägig.
67
9. Wenn – wie vorliegend – über wahre Tatsachen berichtet wird, deren rechtliche Beurteilung zweifelhaft ist, ist die Einholung einer Stellungnahme des Betroffenen und deren Wiedergabe im Artikel auch nicht in einer entsprechenden Anwendung der Grundsätze für die Zulässigkeit von Verdachtsberichterstattungen erforderlich (siehe dazu Hager, AfP 2022, 469, 470, Rn. 7, 471, Rn. 13 und 472, Rn. 18). Denn in der als Meinungsäußerung zu qualifizierenden rechtlichen Beurteilung unstreitiger Tatsachen sind die Medien in Ansehung von Art. 5 Abs. 1 GG frei. Es erscheint zudem ohnehin mindestens zweifelhaft, ob Medien unter dem Gesichtspunkt einer bewusst unvollständigen Berichterstattung in Ansehung der Meinungs- und Pressefreiheit gezwungen sind, eine von ihnen nicht vertretene rechtliche Auffassung wiederzugeben (siehe OLG Köln, Beschluss vom 07.03.2017 – 15 U 7/17, BeckRS 2017, 107140, Rn. 8 m.w.N.). Da – wie das Landgericht nachvollziehbar dargelegt hat – die übrigen Voraussetzungen aus der „Staranwalt“-Entscheidung des Bundesgerichtshofs gewahrt sein dürften, würde es der Berufung somit – ohne dass dies hier abschließend entschieden werden müsste – nicht einmal dann zum Erfolg verhelfen, wenn man diese vorliegend – abgesehen von dem hier jedenfalls nicht einschlägigen Erfordernis einer Konfrontation des Klägers – anwenden wollte.
68
10. Es fehlt überdies auch an einer Wiederholungsgefahr. So lässt sich nicht ohne Weiteres vermuten, ein im Wesentlichen auf ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gestützter Vorwurf strafbaren Verhaltens werde trotz zwischenzeitlicher Einstellung des Ermittlungsverfahrens wiederholt werden (vgl. Burkhardt in: Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 6. Aufl., Kap. 12, Rn. 19 m.w.N.). Auch hier ist nichts dafür ersichtlich, dass der Kläger nach Einstellung des Ermittlungsverfahrens besorgen müsste, die Beklagte würde den Vorwurf der Strafbarkeit der Provisionszahlungen trotzdem noch einmal erheben (siehe dazu BGH, Urteil vom 22.06.1982 – VI ZR 251/80 – „Klinikdirektoren“, GRUR 1982, 631, 632 f.).
69
11. Nach alledem ist der Berufung der Beklagten in vollem Umfang stattzugeben und die Klage ist abzuweisen, wohingegen die Berufung des Klägers sich als unbegründet erweist.
70
12. Nicht entschieden werden muss daher die Frage, ob sich überdies der Unterlassungs-Tenor des landgerichtlichen Urteils – wie von der Beklagten gerügt – wegen des „insbesondere“-Zusatzes als zu unbestimmt darstellt (siehe dazu Himmelsbach/Mann, Presserecht, 1. Aufl., § 20, Rn. 45 f.).
III.
71
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 und § 97 Abs. 1 ZPO.
72
2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10 und §§ 711, 713 ZPO.
73
3. Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 ZPO nicht erfüllt sind.
74
Die maßgeblichen Rechtsfragen zur identifizierenden Berichterstattung und zur Verdachtsberichterstattung sind mittlerweile höchstrichterlich geklärt; insoweit wird auf die oben zitierten Entscheidungen verwiesen. Es ist Aufgabe der Instanzgerichte, diese Rechtsgrundsätze auf den jeweils vorliegenden Sachverhalt anzuwenden. Ob die Voraussetzungen für einen Unterlassungsanspruch wegen unzulässiger identifizierender bzw. wegen Verdachtsberichterstattung vorliegen, hängt von den in tatrichterlicher Würdigung des jeweiligen Sachvortrags zu treffenden Feststellungen des Berufungsgerichts ab und kann nicht Gegenstand einer grundsätzlichen Klärung durch den Bundesgerichtshof sein (vgl. BGH, Beschluss vom 13.10.2021 – VII ZR 179/21, juris Rn. 9). Divergierende Ergebnisse aufgrund der Würdigung des jeweils vorgetragenen Sachverhalts in tatsächlicher Hinsicht begründen überdies indes keine Divergenz i.S. des § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, 522 Abs. 2 ZPO. Von einer solchen ist vielmehr nur dann auszugehen, wenn den Entscheidungen sich widersprechende abstrakte Rechtssätze zugrunde liegen (vgl. BGH, Beschluss vom 09.07.2007 – II ZR 95/06, juris Rn. 2). In diesem Sinne divergierende obergerichtliche oder höchstrichterliche Judikate sind weder dargetan noch ersichtlich.