von Thomas Ax
Ein Kraftfahrer ist fahruntüchtig, wenn seine Gesamtleistungsfähigkeit, namentlich infolge Enthemmung sowie geistig-seelischer und körperlicher Leistungsausfälle so weit herabgesetzt ist, dass er nicht mehr fähig ist, sein Fahrzeug im Straßenverkehr eine längere Strecke, und zwar auch bei plötzlichem Eintritt schwieriger Verkehrslagen, sicher zu steuern (vgl. BGH, Urteil vom 20. 3. 1959 – 4 StR 306/58 –, beck online; BayObLG, Beschluss vom 24.05.1989 – RReg 2 St 117/89 –, juris).
Die Blutalkoholkonzentrationsgrenze liegt bei absoluter Fahruntüchtigkeit für das Führen von Kfz bei 1,1 Promille (vgl. BGH, Beschluss vom 28.06.1990 – 4 StR 297/90 –, beck online).
Relative Fahruntüchtigkeit ist gegeben, wenn die Blutalkoholkonzentration des Angeklagten zur Tatzeit zwar unterhalb des Grenzwerts absoluter Fahruntüchtigkeit liegt, aber aufgrund zusätzlicher Tatsachen der Nachweis alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit geführt werden kann. Die relative Fahruntüchtigkeit unterscheidet sich dabei von der absoluten nicht in dem Grad der Trunkenheit oder der Qualität der alkoholbedingten Leistungsminderung, sondern allein hinsichtlich der Art und Weise, wie der Nachweis der Fahruntüchtigkeit als psychophysischer Zustand herabgesetzter Gesamtleistungsfähigkeit zu führen ist. Außer der Höhe der Blutalkoholkonzentration müssen hierfür weitere Indizien festgestellt werden, die in ihrer Gesamtheit als Beweisanzeichen geeignet sind, dem Tatrichter die Überzeugung von der Fahruntüchtigkeit des Angeklagten zu vermitteln (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 22.04.1982 – 4 StR 43/82 –, beck online; OLG Köln, Beschluss vom 09. Januar 2001 – Ss 477/00 –, juris; Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, § 316 Rn. 32; König in: Leipziger Kommentar, StGB, 13. Aufl. 2021, § 316 Rn. 90). Den höchsten Stellenwert innerhalb der relevanten Indizien nimmt der Alkoholisierungsgrad des Fahrers ein. Sein Ausmaß bestimmt die Anforderungen an die Signifikanz der zusätzlichen Indizien: Je höher die Blutalkoholkonzentration ist, desto geringer sind die an die konkrete Ausfallerscheinung zu stellenden Anforderungen (vgl. BGH a.a.O.; Heintschel-Heinegg, BeckOK, StGB, 53. Edition, Stand: 01.05.2022, § 315c Rn. 22 m.w.N.; König a.a.O. Rn. 90a m.w.N.). Hinsichtlich der zusätzlichen Beweisanzeichen ist neben in der Person des Angeklagten liegenden Gegebenheiten, wie Krankheit oder Ermüdung, und äußeren Bedingungen der Fahrt, wie Straßen- und Witterungsverhältnissen, insbesondere das konkrete äußere Leistungsverhalten des Angeklagten von Bedeutung, das durch die Aufnahme alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel mindestens mitverursacht worden sein muss (BGH a.a.O.; OLG Köln a.a.O.; König a.a.O.; Pegel, Münchener Kommentar, StGB, 3. Aufl. 2019, § 316 Rn. 53ff.). Bei der Beweisführung für die relative Fahruntüchtigkeit kommt diesen tatsächlichen Umständen unterschiedliche Bedeutung zu. Während relative Fahruntüchtigkeit auch dann vorliegen kann, wenn weder schwierige äußere Umstände, noch neben der Beeinflussung des Angeklagten durch Alkohol oder andere berauschende Mittel weitere leistungsmindernde innere Umstände gegeben sind, ist eine – wenn auch nur geringe – Ausfallerscheinung, die durch die Aufnahme alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel zumindest mitverursacht sein muss, für die richterliche Überzeugungsbildung grundsätzlich unverzichtbar (vgl. BGH a.a.O.; BGH, Beschluss vom 3.11.1998 – 4 StR 395–98 –, beck online – ergangen zum Konsum anderer berauschender Mittel; BayObLG, Beschluss vom 24.05.1989 – RReg 2 St 117/89 –, juris; OLG Koblenz, Urteil vom 16.11.1989 – 1 Ss 422/89 –, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 29. Juni 2010 – III-3 RVs 45/10 –, juris – ergangen zum Konsum anderer berauschender Mittel). Als solche Ausfallerscheinungen kommt insbesondere eine auffällige Fahrweise in Betracht. Die Ausfallerscheinung muss aber nicht notwendig beim Fahren aufgetreten sein oder die Fahrweise selbst betreffen. Die Beeinträchtigungen des Leistungsvermögens können sich vielmehr auch im Verhalten vor oder nach der Tat gezeigt haben, etwa in unbesonnenem Benehmen bei Polizeikontrollen, aber auch in sonstigem Verhalten, das alkoholbedingte Enthemmung und Kritiklosigkeit erkennen lässt (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 22.04.1982 – 4 StR 43/82 –, beck online; OLG Köln a.a.O.; OLG Hamm a.a.O.). Allgemeine Merkmale, die üblicherweise mit Drogenkonsum einhergehen, wie gerötete Augen, erweiterte Pupillen, nervöses oder unruhiges Verhalten, rechtfertigen hingegen nicht die Annahme relativer Fahruntüchtigkeit (vgl. u.a. OLG Hamm, a.a.O.). Voraussetzung für den Schluss aus festgestelltem Fehlverhaltensweisen auf eine alkoholbedingte Fahrunsicherheit ist weiter die sichere Feststellung, dass das Verhalten durch den Alkoholkonsum zumindest mitverursacht ist. Dabei kommt es nicht darauf an, wie sich ein durchschnittlicher nüchterner Fahrer, sondern wie sich gerade der Täter in nüchternem Zustand verhalten hätte (vgl. BGH a.a.O.; BayObLG, Urteil vom 07.03.1988 – RReg 2 St 435/87 –, juris; OLG Köln, a.a.O.; König a.a.O. Rn. 99; Fischer a.a.O. Rn. 34). Das Verhalten eines durchschnittlichen nüchternen Kraftfahrers ist nur mittelbar insbesondere bei der Beurteilung von Fahrfehlern von Bedeutung: Je seltener ein bestimmter Fahrfehler bei nüchternen Fahrern vorkommt und je häufiger er erfahrungsgemäß von alkoholisierten Fahrern begangen wird, desto eher wird der Schluss gerechtfertigt sein, der Fehler wäre auch dem Angeklagten in nüchternem Zustand nicht unterlaufen (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 12.04.1994 – 4 StR 688/93 –, juris; OLG Koblenz, Urteil vom 25. Juli 1977 – 1 Ss 357/77 –, juris; OLG Köln a.a.O.; König a.a.O. Rn. 101)
Die Entscheidung darüber, ob bestimmte Beweisanzeichen den Schluss auf eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit zulassen, ist eine Frage der Beweiswürdigung.
Ein Umstand, dass der Angeklagte sein Fahrzeug ordnungswidrig geparkt hat, lässt ebenso wie das Rauchen im Pkw im Beisein der Kinder und die Entscheidung des Angeklagten, das Fahrzeug mit den in diesem befindlichen Kindern alkoholisiert über eine längere Strecke zu führen, den Schluss auf die relative Fahruntüchtigkeit des Angeklagten nicht ohne Weiteres zu.
Es handelt sich bei dem Falschparken um eine Fehlleistung, die auch zahlreichen nicht alkoholisierten Fahrern unterläuft. Auch das Rauchen in Anwesenheit der Kinder im Auto ist noch immer nicht so selten, dass es ohne Weiteres den ursächlichen Einfluss von Alkohol nahelegt. Der Entschluss, eine lange Fahrt durchzuführen, trotz erheblichen Alkoholkonsums und unter Gefährdung von Beifahrern – insbesondere von Kindern –, mag zwar eher auf eine alkoholbedingte Enthemmung und Selbstüberschätzung hindeuten (vgl. BGH, Urteil vom 28.04.1962 – 4 StR 55/61 -, juris –zu einer Fahrt trotz geringer Fahrübung und mit zahlreichen Gästen überladenem Pkw; vgl. aber auch ablehnend OLG Zweibrücken, Beschluss vom 12.11.1990 – 1 Ss 164/90 –, juris – zu einer Fahrt nach langem Arbeitstag trotz erheblichen Alkoholkonsums und schlechten Witterungsverhältnissen), erlaubt jedoch aus sich heraus ebenfalls nicht die sichere Feststellung, der Angeklagte hätte sich ohne den Einfluss von Alkohol anders verhalten.
Auch wenn der Angeklagte eine Blutalkoholkonzentration aufgewiesen hat, die nur knapp unter der Grenze zur Begründung der absoluten Fahruntüchtigkeit gelegen hat, ist dennoch ist die Feststellung jedenfalls eines zusätzlichen Beweiszeichens zur Begründung der relativen Fahruntüchtigkeit unerlässlich (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 22.04.1982 – 4 StR 43/82 –, beck online).